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Damit Demokratiebildung Alltag für Kinder und Jugendliche in Sachsen wird

Die Sächsische Jugendstiftung und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung setzen sich für gute Aufwachsbedingungen junger Menschen in unserer Gesellschaft ein. Ein wichtiger Arbeitsschwerpunkt in unseren Projekten, Programmen und Veranstaltungen ist dabei insbesondere die Frage, wie Demokratiebildung mit und bei jungen Menschen gelingen kann.


Den Impulstag “Freiheit als Pflicht? - Demokratiefördernde Jugendarbeit zwischen Wunsch und Wirklichkeit.“ im September 2017 nehmen wir als Anlass, gemeinsam Empfehlungen für die Praxis aus unserer Arbeit im Bereich der Demokratiebildung zu formulieren. Gleichzeitig möchten wir mit diesem Papier die Bedeutung der Kinder- und Jugendbeteiligung, als wichtiges Element in den aktuellen Diskussionen um politische Bildung und Demokratiebildung bis hin zur Erweiterung der Sächsischen Gemeindeordnung, hervorheben.


Demokratie ist aus unserer Sicht vor allem eine „Lebensform“*. Von dieser Betrachtung ausgehend erschöpft sich Demokratie nicht im Wissen über Organisationen, Regierungsformen und parlamentarische Beteiligungen. Demokratie zu leben bedeutet in erster Linie, sie täglich zu erleben, mitzugestalten und dabei praktisch zu erlernen. Und das geschieht vor allem dort, wo Menschen sich begegnen: In der Familie, der Kita, im Jugendhaus, dem Sportplatz, in allen Dörfern und Stadtteilen.


Das praktische Erlernen, Erfahren und Praktizieren von Teilhabe, Mitgestaltung, Aushandlung und Selbstwirksamkeit ist die wichtigste Grundlage der Demokratiebildung. Sie muss im Alltag (be)greifbar sein und in den direkten Lebenswelten junger Menschen stattfinden. Von der Schule, über Vereine, der Familie, dem Freundeskreis und in der Gemeinde – überall sind die Erwachsenen gefragt, Kindern und Jugendlichen alltäglich Gelegenheiten zu eröffnen, sich auszuprobieren, demokratische Haltung zu erfahren und sich anzueignen.


Junge Menschen werden nicht automatisch zu aktiven Mitgliedern einer demokratischen Gesellschaft. Kinder und Jugendliche spüren die Folgen des demografischen Wandels in der Infrastruktur vor Ort. Schon allein durch ihre Anzahl sind sie strukturell benachteiligt und brauchen als wichtiger Teil einer demokratischen Gesellschaft Stärkung. Das bestätigt auch die bundesweite Debatte über eine „Eigenständige Jugendpolitik“. Eine demokratische Gesellschaft kann nur bestehen, wenn deren jüngste Mitglieder ebenfalls ihre Räume und Möglichkeiten haben, diese mitzugestalten.


Jugendstudien zeigen, dass junge Menschen sich gern für die Dinge engagieren, die sie betreffen und interessieren. Sie belegen auch, dass dieses Engagement entsprechend der jugendlichen Lebenswelten überschaubar und ergebnisorientiert sein muss.

Projektorientierte Beteiligungsformen sind damit besonders erfolgversprechend und bieten wichtige Erfahrungsräume. Jugendliche erwerben entscheidende Kompetenzen, sie erfahren, dass ihre Meinung zählt, lernen, Kompromisse auszuhandeln und Entscheidungen kompetent abzuwägen.


Dabei gehen wir immer von ernsthaften Beteiligungsprojekten aus, die, im Gegensatz zu Scheinbeteiligung oder langwierigen Nachbildungen erwachsener Parlamentsformen, altersgerecht sind. Kinder und Jugendliche erleben mit diesen Formaten, dass ihre Meinung zählt und ihr Engagement tatsächlich positive Folgen hat. Aus unserer Sicht das beste Mittel, um die Grundregeln des demokratischen Miteinanders zu erlernen.


Damit es gelingen kann, alltägliche Beteiligungsmöglichkeiten für alle jungen Menschen in allen sie betreffenden Lebenswelten fest zu verankern und zu etablieren, braucht es eine gute Zusammenarbeit der Institutionen vor Ort, genauso wie Multiplikatoren, die gemeinsam Beteiligung initiieren und örtliche Entscheider mit einbinden.
Orientiert an den spezifischen Bedingungen in Gemeinden, Stadtteilen, Schulen, Freizeitstätten, Familie etc. gilt es deshalb, Strukturen zu entwickeln, die sowohl für die Kinder und Jugendlichen gut zugänglich und durchschaubar, als auch für die Erwachsenen nachhaltig wirksam sind. Dies gelingt durch gemeinsames Aushandeln und praktisches Ausprobieren. Erwachsene, wie auch Kinder und Jugendliche, brauchen Zeit und Gelegenheit, zusammen die für sie geeignete Form zu finden.


Dafür existiert bereits eine Vielfalt von Beteiligungsformaten und -methoden, die den jeweiligen Bedürfnissen angepasst und weiterentwickelt werden können. Von Erkundungsmethoden, wie den Stadtteildetektiven, bis hin zur Projektförderung durch Jugendfonds - alle sind gut geeignet, Kinder und Jugendliche vor Ort zu beteiligen. Jedoch nur, soweit sie tatsächlich an Entscheidungsprozessen ernsthaft beteiligen und für Kinder und Jugendliche sichtbare Folgen haben.


Eines haben alle Formate und Methoden gemeinsam: Sie alle brauchen zum einen den Mut von Erwachsenen, jungen Menschen wirkliche Entscheidungsräume zu eröffnen. Aber sie brauchen auch das Vertrauen von Erwachsenen, dass durch ernst gemeinte Beteiligung nicht nur Erfahrungsräume für die Jugendlichen entstehen, sondern jeder Ort eine wirkliche Bereicherung für das gesellschaftliche Zusammenleben und die Gestaltung der jeweiligen Lebensräume erfährt.


Durch das praktische Ausprobieren und die direkte Umsetzung von Beteiligungsvorhaben und -projekten vor Ort erfahren Erwachsene den konkreten Mehrwert der Kinder- und Jugendbeteiligung, sie werden sensibilisiert für Gelingensbedingungen und es entsteht eine Haltung, die es ermöglicht, Kindern und
Jugendlichen auf Augenhöhe zu begegnen und sie als Experten für ihre eigene Lebenswelt zu verstehen.

Damit ist der wichtigste Grundstein für erfolgreiche Demokratiebildung gelegt: Die Bereitschaft der Erwachsenen, Entscheidungsbefugnisse an die Kinder und Jugendlichen als Experten ihrer Lebenswelt abzugeben, um die nötigen Räume und Gelegenheiten zu eröffnen, Demokratie zu erlernen und so Gesellschaft gemeinsam zu gestalten.


Die Kinder- und Jugendhilfe hat in der Demokratiebildung eine wichtige Schlüsselfunktion. Sie ist aufgrund ihrer Verfasstheit und Arbeitsweise besonders geeignet, solche Prozesse anzuschieben, zu verbinden, zu koordinieren und geeignete Methoden zu transferieren. Sie eröffnet die kommunikativen Zugänge zu Jugendlichen und befähigt Erwachsene, Jugendliche zur Gestaltung ihrer Lebenswelten zu ermutigen und sie bei der Umsetzung eigener Ideen begleiten.


Eine förderliche Kultur der Jugendbeteiligung bietet den Rahmen, um aus Misserfolgen zu lernen und Beteiligung als Chance zu begreifen. Sie misst sich nicht an Mandaten, Teilnehmerzahlen oder erfolgreich umgesetzten Projekten, sondern stellt die wertschätzende Kommunikation und das ernsthafte demokratische Miteinander zwischen Erwachsenen und Jugendlichen in den Mittelpunkt. Wenn junge Menschen erleben, dass ihre Meinung zählt, sie Gehör finden und dass in allen Bereichen ihrer Lebenswelt eine solche förderliche Beteiligungskultur herrscht, wird die feste Verankerung verschiedener Beteiligungsansätze vor Ort und damit den alltäglichen Lebenswelten überhaupt erst möglich gemacht.


Mit dieser Herangehensweise gelingt es auch, die Novellierung der sächsischen Gemeindeordnung vor Ort mit Leben zu füllen und Demokratiebildung in der direkten Lebenswelt junger Menschen zu ermöglichen.
Wir laden Sie ein, gemeinsam auf Basis dieser reichhaltigen Erfahrungen den Weg für mehr Beteiligung von Kindern und Jugendlichen zu gehen. Wir unterstützen Sie gerne dabei!

Demokratie vor Ort erlebbar machen:
sechs Empfehlungen für mehr Beteiligung

1. Ein erster Schritt: gemeinsam reden und aufeinander hören und Ideen und Vorschläge wirklich ernst nehmen. Dabei sind vor allem Erwachsene gefordert, nicht direkt auf den ersten Blick unmögliche Vorschläge der jungen Menschen an sogenannten Sachzwängen scheitern zu lassen. Leitfrage aller Beteiligung ist nicht das Sammeln von Argumenten warum etwas nicht geht, sondern die gemeinsame Suche nach einem Weg der Umsetzung.


2. Beteiligung braucht den Mut der Erwachsenen im Gemeinderat, im Jugendhaus, in Schulen in den Vereinen und in der Familie wirkliche Entscheidungsräume zu öffnen. Das kann klein beginnen und darf wachsen. Dazu braucht es die positiven Erfahrungen für Erwachsene und Jugendliche gleichermaßen.


3. Beteiligung junger Menschen greift ihre Themen und Probleme auf. Deshalb sind sie zu fragen, woran sie beteiligt werden wollen, welche Ideen und Vorschläge für Veränderung Jugendliche haben.


4. Beteiligung braucht eine zeitliche und methodische Rahmung. Je überschaubarer und mit Methoden an der Lebenswelt der Jugendlichen orientiert, umso höher die Wirksamkeit für alle.


5. Demokratie erleben junge Menschen in der Begegnung untereinander und in der Begegnung mit Erwachsenen. Erleben Sie dabei, dass ihre Meinung wirklich gefragt ist, sie tatsächlich entscheiden können, ihr Handeln eine echte Wirkung hat, so wird dies ihre Haltung zu Demokratie und ihren Vertretern positiv prägen (Ernstcharakter und Selbstwirksamkeitserfahrung).


6. Demokratie leben und lernen gehört in den Alltag junger Menschen: in die Kita, die Schule, ins Jugendhaus, ins Dorf und in den Stadtteil.

Beteiligung lohnt sich...

…für Entscheidungsträger in den Gemeinden, die damit Demokratie erfahrbar machen und so den Standortvorteil Kinder- und Jugendfreundlichkeit mit echtem Leben füllen.


…für junge Menschen, die sich ernst genommen fühlen, die erfahren, dass sie mitgestalten können und gefragt sind mit ihren Ideen und Vorschlägen.


…für pädagogische Fachkräfte, um damit einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung junger Menschen zu leisten.
Beteiligung braucht Mut und Fehlerfreundlichkeit aller Beteiligten. Es gelingt nicht immer alles gleich gut. Deshalb: einfach anfangen und gemeinsam lernen!

 

 

Andrea Büttner

Geschäftsführerin Sächsische Jugendstiftung

info@sächsische-jugendstiftung.de

Christoph Anders und Jens Hoffsommer

Regionalstellenleitung Sachsen der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung

sachsen@dkjs.de

*Gerhard de Haan, Wolfgang Edelstein, Angelika Eikel (Hrsg.): Qualitätsrahmen Demokratiepädagogik. Demokratische Handlungskompetenz fördern, demokratische Schulqualität entwickeln. Heft 1: Grundlagen zur Demokratiepädagogik. Beltz, Weinheim/ Basel 2007